Werkstattgespräch
Weibliche Kraft, Rache oder Versöhnung?
2018, Gouache auf Leinwand
Zunächst ein Gespräch über die Verwendung von schwarzer Leinwand.
Uta: Ich hatte das Gefühl, die schwarze Leinwand, die ist kostbar. Mach mal nichts verkehrt.
Wimmer: Zunächst hatte ich den Eindruck, dass die Farben auf der schwarzen Leinwand im nassen Zustand viel mehr leuchten. Beim Trocknen entsteht der Eindruck, die Leinwand wäre wie ein schwarzes Loch, das alle Farben und Formen aufsaugt und zum Verschwinden bringt. Als wenn das Schwarz schon von seiner Natur her alles schluckt. Das ist eine Täuschung, die Farben erhalten danach eine noch stärkere Leuchtkraft.
Uta: Vielleicht ist die Leinwand ungeeignet, um mit Kleister zu arbeiten?
Wimmer: Es ist das erste Mal, dass ich auf einer schwarzen Leinwand male und es erfordert Mut, reichlich Farbe zu nehmen. Außerdem braucht es etwas Geduld, den Trocknungsprozess zu erforschen. Es wäre sicherlich noch einmal anders, wenn wir Acrylfarben nehmen würden. Bei einer schwarzen Leinwand gehe ich anders an das Bild heran. Man hat schnell das Gefühl, es ist schon irgendwie fertig.
Uta: Ich könnte mir vorstellen, dass darauf Buntstifte oder Pastellkreide gut wirken.
Zum Ablauf des Arbeitsprozesses: Uta und Wimmer nehmen zwei einzelne Leinwände und arbeiten gleichzeitig an beiden Bildern. Uta beginnt mit dem linken Bild, Wimmer mit dem rechten.
Gespräch über das rechte Bild: Rache oder Versöhnung
Uta: Das war jetzt eine schwere Arbeit. Am Anfang war es noch so, dass ich in Freude war mit dem Gelb, welches du aufgetragen hattest und dem Rot-Ton. Es war wie ein Lichtschimmer, der so transparent den Raum erhellt. Das hat eine andere Wirkung auf diesem Untergrund als auf einer weißen Leinwand.
Es sah so aus, als ob von irgendwo her eine Lampe oder Kerze es beleuchten würde. Das erfasste ich so aus dem Augenwinkel auf deiner Leinwand. Ich hatte dann das Bedürfnis mit den Buntstiften anzufangen, so ganz zart und vorsichtig über die Leinwand zu gehen. Soweit war alles noch gut, und dann fragte ich: „Wie machen wir das mit dem Tauschen der angefangenen Arbeiten?“ Ich hatte das unsichere Gefühl, ob das Tauschen überhaupt noch in Frage kommt, denn du warst bei dem rechten Bild schon so weit eingestiegen.
Wimmer: Wir hatten das ja vereinbart, dass wir mitten im Prozess tauschen. D. h. wir müssten jederzeit tauschen können. Und es war auch der richtige Zeitpunkt.
Uta: Bei mir war auch der Impuls: ‚Wenn nicht jetzt, dann tausche ich nicht mehr.’
Wimmer: Es war der richtige Zeitpunkt. Du hast die Figur mit dem hellblauen Hintergrund erst richtig hervorgehoben, sie sichtbar gemacht.
Uta: Zuerst habe ich die roten Linien gezogen. Die flossen ja bereits von oben herunter. Ich bin den Linien nachgegangen. Erst bekamen sie so etwas wie Haare, doch dann hatte ich das Bedürfnis, damit über das Gesicht zu gehen. Das führte dazu, dass es den Anschein bekam, als wären zig gelaufene Tränen über die Augen gelaufen. Das fand ich unglaublich schmerzhaft. Diese vielen Spuren, die sich wie Narben in das Gesicht eingruben.
Wimmer: Danach habe ich erst den Mut gefunden, das Gesicht richtig auszuarbeiten - als die Grundstruktur sichtbar war. Ich war mir lange nicht sicher, ob ich die entstandene Struktur zum Gesicht machen soll oder sie einfach unbearbeitet lasse.
Uta: Erst als ich die Linien gesetzt habe?
Wimmer: Ja, besonders als das Hellblau dazugekommen ist. Als die runde Form hervorgehoben wurde.
Uta: In dem Moment, als ich die feinen Linien setzte, tauchte vor meinen Augen ein Mädchenkopf mit roten Zöpfen auf - ein ganz junges Mädchen. Und dann dachte ich: ‚Da muss Hellblau ins Bild, da muss ein Rahmen in Hellblau herum.’ Und dann kam ich mit der Farbe aus dem Nebenraum wieder herein und dann hattest du das Rot in die Ecken gesetzt, rechts und links. Da konnte ich nicht mehr - mir war das viel zu viel Rot, zu viel Schmerz und zu viel Blut.
Wimmer: Ich habe das nicht als Blut gesehen. Ich habe es als Schmuck eines Gewandes gesehen. Es gibt doch schwarze Gewänder, die im Umschlag Rot haben. Ich habe beim Arbeiten dieses Gewand gesehen und es nicht als Schmerz eingestuft. Die Figur ist von mir ja auch erstmal ganz klassisch gemalt worden und ich habe sogar versucht, ein kleines Lächeln auf die Lippen zu bringen, welches auch immer noch da ist.
Aber jetzt hat es eine viel größere Bedeutung als am Anfang; dass trotz des Schmerzes drumherum dieses Lächeln noch durchscheint. Es macht aber auch viel aus, dass die Haare jetzt weiß sind. Es ist eigentlich eine junge Frau und gleichzeitig ist sie uralt.
Uta: Ich konnte das Geschehen kaum ertragen, das Geräusch vom Spachtel, dieses Reinkratzen mit dem Rot – mit diesem Kratzen kam das Gefühl: Dort fließen viele Tränen. Und dann hatte ich das Empfinden: ‚Es muss Trost her. Die Frau auf der Leinwand wird total alleingelassen.’ Und das Rot, dass du in die Ecken gesetzt hattest, war noch einmal eine Steigerung ihres Leidens.
Wimmer: Die roten Linien kommen unter Hellblau wieder zum Vorschein.
Uta: Als wenn die Frau auf dem Bild noch einmal wieder verprügelt wird, noch einmal wieder Leid erfahren hat. Eigentlich war das ein Moment, wo ich dachte: ‚Da gebe ich jetzt auf! Da ist so viel Schmerz, so viel Gewalt, so viel Blut, so viel Leid, so viel Trauer - ich werde an dem Bild nicht mehr mitarbeiten! Ich verziehe mich in die Ecke und lass dich machen.’
Und dann bin ich wie ‚Rilkes Panther’ innerlich hin und her gelaufen und habe gedacht: ‚Ich kann diese Frau nicht alleinlassen! Ich muss jetzt etwas tun!’
Da habe ich zum Hellblau gegriffen.
Wimmer: Zu dem Zeitpunkt war das Bild noch nicht so, wie es jetzt ist. Das Gesicht der Frau war ja noch gar nicht richtig fertig. Nach dem Blau habe ich erst die Figur ausgearbeitet. Ich dachte: ‚Jetzt geh ich wirklich daran und gestalte die Figur!’
Uta: Ich hatte da noch die Vorstellung von einem ganz jungen Mädchen, vielleicht 10 – 11 Jahre. Du hast daraufhin die Figur eher zu einer weichen Form ausgearbeitet, die einer Madonna glich. Und dann hast du das Gesicht herausgearbeitet und meine Grenze des Ertragens war erreicht: Mit diesen stierenden Augen und dieser schwarzen Nase. Ich war thematisch bei Trost und lieblich und plötzlich schaute mich eine Frau mit glotzenden, entsetzten Augen an. Es war das zweite Mal, dass ich komplett aufgeben wollte.
Wimmer: Du hast die Arbeit in eine andere Richtung gebracht. Ich sehe die Frau jetzt als sehr selbstbewusst dort stehen, trotz der erlittenen Schmerzen. Sie wirkt wie ein weiblicher Christus, der das aushält und trägt.
Uta: Das ergab sich dadurch, dass ich mir sagte: ‚Ich ertrage diese Augen nicht mehr! Ich schließe ihr die Augen.’ Ich habe ihre Lider mit weißer Farbe geschlossen.
Wimmer: Das hast du zwar gemacht, aber „die Augen haben sich wieder geöffnet“.
Uta: Ich dachte: ‚Ich schließe ihr die Augen, ich lasse sie jetzt Frieden finden; sie schläft oder sie stirbt jetzt. Sie soll Frieden haben.’
Wimmer: Aber jetzt schaut sie völlig präsent. Sie ist stark, auch mit diesem blauen linken Auge und dem anderen Auge, welches unter dem Weiß wieder durchschimmert. Das gibt dem Gesicht etwas von Weisheit.
Uta: Für mich war es so: Sie hat einmal die Augen geschlossen. Aber sie fand nicht den Frieden, wie ich es mir gewünscht hätte.
Wimmer: Das ist das, was du mit dem Weiß erreichen wolltest - aber die darunterliegende Farbe schimmert wieder durch. Und das andere Auge ist auch wieder offen! Es blickt in die Ferne und hat einen Ausdruck von Wachheit - jemand, der ganz genau erkennt. Das wird von dem Blau in dem linken Auge auch noch einmal unterstützt. Alles ist wie ein Symbol für Weisheit. Ein Durchdringen findet sich auch im Hintergrund wieder, wo das Rot - welches unter dem Blau verborgen ist - genauso wieder durchscheint.
Uta: Es ist eben so, dass das linke Auge wieder „neu schaut“. Als wenn sie wieder als Person da ist und aus einer großen Tiefe blickt.
Wimmer: Die Ambivalenz des Gesichtes ist, dass es gleichzeitig jung und alt scheint - wie mehrfach gelebte Leben.
Uta: Das Lächeln, welches du siehst, sehe ich nicht. Vom Blick her wirkt es auf mich eher vorwurfsvoll - der Eindruck wechselt aber; es ist nicht eindeutig.
Wimmer: Das Gesicht ermöglicht eine Vielfalt des Betrachtens und durch die verschiedenen Lichtverhältnisse wird das Gesicht auch immer einen anderen Ausdruck haben.
Uta: Dadurch habe ich dann als Betrachterin auch gleichzeitig mehrere Spiegel!
Gespräch über das linke Bild: Weibliche Kraft
Uta: Auf dem linken Bild hast du denselben Rot-Ton benutzt wie auf dem rechten. So wie du die Farbe aufgetragen hast, wirkt die Fläche jetzt eher plastisch, ganz warm, wie stark durchblutet - es sind Brüste, die ich darin sehe. Mich reizt ihre Wärme, das Wohlige, ich möchte mich dort ankuscheln. Mit dem Kontrast zum Grün, welches drumherum ist, wirken sie noch runder.
Wimmer: Das Grün könnte auch die Andeutung eines Kleides sein.
Uta: Ich dachte kurz: ‚Ist da rechts vielleicht ein Wesen, welches an der Brust liegt?’
Wimmer: Vom Ausschnitt her wirkt es sehr weiblich - selbstbestimmt.
Uta: Es hat nichts Anrüchiges, eher etwas Selbstverständliches. Ich bekomme keine Bauchschmerzen, dass da jemand entblößt dargestellt ist. Im Kontext mit dem rechten Bild gibt dieses Bild Trost und strahlt etwas wie genährt Sein aus. Ich denke dabei an Mutterliebe.
Noch einmal zurück zum rechten Bild: Wir haben heute Morgen - vor dem Malen - zum Thema Annahme gesprochen. Und als ich dann sah, wie du das Gesicht der Frau herausgearbeitet hast, habe ich gemerkt, wie sehr ich in den Widerstand ging.
Eine Stimme in mir sagte: ‚Uta, du musst jetzt die Ärmel hochkrempeln! Du musst jetzt eingreifen! Damit bist du jetzt nicht einverstanden! So wie die Frau jetzt auf dem Bild erscheint, damit bist du nicht einverstanden! Du erträgst nicht noch mehr schmerzende, glotzende Gesichter!’
Wimmer: Das Bild ist dadurch nun ein ganz anderes geworden. Ich bekam Bauchschmerzen, als du in die Augen hineingemalt hast! Ich dachte sofort: ‚Das ist genau das, was wir hier machen! Ich muss nicht weiter darauf starren, ich lasse das Bild los und mache mit dem linken Bild weiter!’
Im Nachhinein finde ich es schon mutig, wie du das gemacht hast. Es war ein Moment, in dem für mich alles auf der Kippe stand: ‚Was wird nun aus dem Bild?’ Daran wird deutlich: Wir haben mittlerweile das Vertrauen, dass wir gegenseitig sensibel mit unseren Arbeiten umgehen. Das zeigt: „Eine Veränderung“ ist ein tiefer Vorgang.
Uta: Es war wirklich nicht so, dass ich mit dem Gesicht nicht einverstanden war und „mein“ Bild daraus machen wollte. Sondern, ich habe den Blick und die Augen nicht mehr ertragen! Es musste etwas passieren!
Wimmer: Wenn ich die fertige Arbeit ansehe, dann ist das ganze Bild durch unseren gemeinsamen Prozess in eine andere Dimension gebracht worden. Es hat eine sehr große Tiefe bekommen. Davor war es nur eine Momentaufnahme eines Gesichtes, nur ein Porträt mit einer einseitigen schmerzhaften Aussage!
Uta: Wie hast du denn die Frau gesehen während der Arbeit an ihrem Gesicht?
Wimmer: Es hat eine ziemliche Zeit gedauert, bis ich überhaupt ein Gesicht gesehen habe. Am Anfang ging es für mich nur um Farbe und Struktur.
Uta: Wie hat die Frau dich angeguckt, während du an ihr gearbeitet hast?
Wimmer: So etwas nehme ich normalerweise im direkten Arbeitsprozess nicht wahr, ich bin dann eher in einer Art Trance. Es geht mir dann mehr darum, wie bekomme ich es hin! Zwischendurch hatte ich z.B. den Impuls, das ganze Gesicht weiß auszumalen. Und in der Umsetzung damit sah ich, dass dadurch eine tolle Struktur für Haare entstand.
Ich dachte: ‚So gut kannst du es gar nicht malen, wenn du dir das fest vornehmen wolltest!’ Spontan entschied ich mich: ‚Du lässt das Schwarze darunter stehen.’ Und am Ende sagte ich mir: ‚Jetzt musst du auch den Mut haben, das Gesicht richtig auszumalen!’ Und gerade als das Gesicht fertig war, bist du ja gleich eingestiegen. Ich für mich hatte noch gar richtig realisiert, was ich gemalt hatte.
Und dann dachte ich: ‚Okay, jetzt steigt Uta ein. Dann werde ich abwarten, was wird!’
Und ich habe schnell gemerkt, das ist okay so.
Dadurch ist eine entscheidende Veränderung passiert: Durch das malerische Eingreifen von dir wurde der Schmerz nicht weggemacht, sondern es hat der Frau den Stolz zurückgegeben. Sie ist niemand mehr, die geschlagen am Boden liegt. Sie ist ein Mensch, der durch die Abgründe gegangen ist, der davon Narben hat, aber trotzdem im Leben steht. Ihr Blick ist sehr stoisch, er ruht in sich. Es könnte eine Frau sein, die sagt: „Es reicht! Ich lasse mir das nicht mehr gefallen! Ich werde mich wehren!“
Uta: Für mich sagt sie: „Ich bin kräftig, ich habe Kraft!“
Wimmer: Wenn man das in der ganzen Dimension begreifen würde, könnte der Betrachter Angst vor ihr bekommen - besonders als Mann. Ihr Blick sagt: ‚Komme mir jetzt nicht mehr zu nahe!’
Uta: Sie hat viel Kraft, die Kraft sich entscheiden zu können! Sie steht an einer Schwelle: ‚Übe ich Rache oder lasse ich das alles los - gehe den Weg der Versöhnung?’
Das ist die große weibliche Kraft.
20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh