Werkstattgespräch
Hast du mich verlassen? Ich bin da!
2018, Gouache auf Leinwand
Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Diptychons: Hast du mich verlassen? Ich bin da! direkt nach Beendigung der Arbeit, während der kaum gesprochen wurde.
Es handelt sich um eine Arbeit, bei der beide Künstler jeweils auf einem Stück schwarzer Leinwand einzeln begannen. Nach einiger Zeit, bevor eine thematische Festlegung sichtbar wurde, erfolgte ein Tauschen der Arbeiten. Wimmer arbeitete dann rechts und Uta links, jeder stieg für sich in ein Thema ein.
Wimmer: Wie bist du mitten in der Arbeit auf die Idee gekommen, beide Bilder aneinander zu hängen?
Uta: Ich weiß es nicht, ich kann es dir nicht sagen.
Wimmer: Durch die weißen Strichandeutungen wahrscheinlich, oder?
Uta: Ich glaube, es war fast gleichzeitig. Du hast die Rolle genommen und das Weiß quer über beide Bilder aufgetragen. Da waren die beiden Bilder noch auf Abstand. Nachdem diese Querlinien von dir gezogen waren, hatte ich die Empfindung: ‚Jetzt müssen die Bilder dichter zusammen. ’
Ab diesem Zeitpunkt behandelten beide unausgesprochen die Arbeiten als ein Gesamtbild, d.h. in der Ausarbeitung arbeitete jeder auf beiden Seiten. Im selben Moment hatten beide den Impuls, die Bilder zu beenden und in den Austausch zu gehen.
Wimmer: Mein erster Eindruck zu dem Gesamtbild ist, dass wir uns als Betrachter auf dem Meeresgrund befinden. Es als einen Teil eines untergegangenen Schiffes zu sehen ... eine Madonna in einem Schrein. Sie ist übriggeblieben und fängt das restliche Licht ein, welches da unten noch vorhanden ist. Ich konnte nicht widerstehen, in die Hand - die auf dem linken Bild durch Zufall entstanden war - einen Fingernagel in den Zeigefinger zu setzen. Die Vorgabe bot sich einfach dafür an. Sie ließ mich sofort an die Darstellung von Michelangelo denken: ‚Der Moment, wo der Finger Gottes den Finger Adams berührt.’
Für den Meeresgrund erscheint dieses völlig absurd. Aber es könnte eine Meeresspiegelung sein? Warum sollte es nicht tief am Meeresgrund auch solche Zeichen geben?
An diesem Gedanken finde ich spannend, dass Seefahrer eigentlich auch immer spirituell waren. Sie mussten stetig Zeichen deuten können, um eine Orientierung für sich zu haben. Für mich sind beide Darstellungen ein schönes Sinnbild dafür, eine Führung und einen Schutz in dieser unendlichen Weite und Tiefe des Meeres zu haben.
Uta: Für das rechte Bild kann ich das auch so sehen: Vielleicht sind es Wrackteile, die voller Algen sind und an einen Verwesungsprozess erinnern.
Im Prozess war ich aber ganz woanders:
Ich habe mich - auf der rechten Seite malend - zunächst über die leuchtenden Farben auf dem schwarzen Grund gefreut.
Der entscheidende Moment - in dem ich mich ziemlich mutig fand - war der Entschluss, aus dem Nebenraum eine Malerrolle zu holen, um damit waagerecht weiter zu arbeiten. Als ich wieder in den Raum zurückkam, warst du bereits dabei, auf dem linken Bild Querstriche zu ziehen.
Ich fand es interessant, dass du im selben Moment die gleiche Idee hattest wie ich, die Bilder waagerecht gestalten zu wollen.
Beim Überrollen war ich überrascht, wie sich das Blau über die dicke gelbe Farbe legte, so wie ich es von der Absprengtechnik bei Radierungen her kenne. Es sah aus, als ob etwas weggeätzt worden wäre.
Dieses war der Moment, in dem wir die Seiten wechselten.
Ich empfand deine Vorgabe - die linke Seite - recht düster und ganz trostlos.
Ich hatte das Gefühl, verlassen am Ende der Welt zu sein. Dann hatte ich die Anmutung von dem Feuerschein einer untergehenden Sonne vor Augen. Nachdem ich sie gemalt hatte, wirkte dieses Abendrot wie ein letzter Halt. Ich hatte Assoziationen von Hochhäusern, Tokio, Japan. Ich fing an, deren Kanten vage zu setzen, bin dann aber spontan zu Weiß übergegangen und habe dieses einfach durch die ursprünglichen Häuser hindurch gezogen.
Plötzlich wandelte sich das Bild für mich in eine Landschaft in Sibirien, Kälte, Weite - das Ende der Welt. Da wurden die roten Striche der Hochhäuser zu Galgen, gefühlsmäßig wanderte ich nach Sibirien, Galgen, Kriegsgefangenschaft und ähnlichen Assoziationen.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, was du auf dem rechten Bild malst - dieses Gelb - ein bisschen Holz - eine Öffnung, die an eine Höhle erinnerte.
Nachdem du mit dem Weiß über beide Bilder gerollt warst, hängten wir die Bilder zusammen.
In diesem Moment erschien mir diese Öffnung wie ein Schrein, der irgendwo steht - ob nun in Russland oder auf einer Alm? Ich habe nur noch diesen Schrein gesehen, an dem Pilger oder Menschen vorbeigehen, um sich Schutz, Trost oder Unterstützung zu holen.
Wimmer: An dieser Stelle haben wir uns kurz ausgetauscht, dass ich auch einen Schrein sehe und du hast mich gebeten, dass die Figur darin möglichst eine weibliche sein sollte.
Uta: Wenn ich es mir jetzt anschaue, ist daraus ein Marienschrein geworden.
Oh, da wird es mir ganz heiß und kalt… Das ist ein Bild aus der Geschichte meiner Familie, mein Vater, der in Sibirien in Kriegsgefangenschaft gewesen ist! In seinem kleinen Tagebuch befinden sich Gebete an die Muttergottes, die er mit einem winzigem Bleistift niedergeschrieben hat, mit der Bitte, sie möge ihn doch heil nach Hause kommen lassen.
Mir geht auf: Er hat nicht an Gottvater gebetet, er hat an die Muttergottes gebetet, sie möge ihn heil nach Hause bringen und möge die Lieben zu Hause beschützen.
Ich habe irgendwie das Gefühl, unser Bild ist ein Bild aus meiner Geschichte...aus meiner Familiengeschichte... und diese Hand mit dem Fingerzeig schafft die Verbindung... von dem Schrein hinüber in diese trostlose, erkaltete Landschaft.
Als würde eine Stimme sagen: „Ich reiche bis dahin - auch bis an das Ende der Welt - reicht meine Hand.“
Längere Stille
Wimmer: Es ist verrückt... mein Vater war auch in Russland. Ich habe keine Ahnung, ob er in irgendeiner Weise etwas mit Gott zu tun hatte...
In Russland gab es bestimmt viele solcher Schreine. Die wird er sicherlich auch gesehen haben...
Erst jetzt begreife ich richtig, dass du das linke Bild wie eine Wüste erlebt hast... Die Galgen werden für mich jetzt erst präsent...
Obwohl, beide Bilder könnten für mich von der Struktur her auch etwas mit dem Meer zu tun haben.
...Es ist verschwommen, nicht fassbar und die Trostlosigkeit ist deutlich...
Für mich bleiben es zwei verschiedene Welten, erst einmal. Sie sind zwar eins - gehören zusammen – aber, wenn wir die Bilder hängen, sollten wir sie in zwei Rahmen hängen, dicht zusammen.
Uta: Durch das Zusammenhängen änderten die Bilder die Richtung, der Hintergrund betont mehr die Waagerechte. Es wirkt wässrig. Ist nicht das Element Wasser das Element der Muttergottes?
Wimmer: Beide Richtungen bleiben - Vertikale und Horizontale, daraus fügt sich richtungsmäßig ein Kreuz. In der Horizontalen ist die Menschenwelt und in der Vertikalen ist die Anbindung an etwas Höheres. Und da, wo der Finger hinzeigt, ist die Menschenwelt!
Uta: Für die rechte Bildseite geschaut, kann ich deiner Assoziation zum Element Wasser folgen, aber links sehe ich weiterhin diese öde Landschaft und ich sehe auch die untergehende Sonne.
Wimmer: Es ist auch wichtig, dass diese Ambivalenz der beiden Welten sichtbar bleibt. Irgendwie sind beide trostlos - ob du auf dem Meeresgrund oder im sibirischen Russland bist. Ich habe immer noch das Empfinden von einer großen Spannung, weil die beiden Bilder sich nicht festlegen lassen. Doch sie sind thematisch eins: „Worin finde ich meinen Halt angesichts solcher Trostlosigkeit?“
Uta: Ich könnte mir vorstellen, wir geben beiden Bildern insgesamt ein schwarzes Passepartout, lassen einen schmalen Streifen dazwischen - so dass die Nähe deutlich wird - und geben sie in einen Rahmen. Ich denke aber, sie brauchen einen Rahmen.
Wimmer: Ich finde, das ist eine unserer stärksten Arbeiten, die wir beide bis jetzt gemacht haben. Dabei war ich über eine lange Zeit völlig verzweifelt, weil ich mit dem Bild nicht zurechtkam.
Uta: Die Verzweiflung gehört doch auch in diese Szenarien!
(Auszug aus dem Werkstattgespräch)
20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh