Werkstattgespräch
Der Wahn im Kopf
2017, Gouache auf Leinwand
Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Bildes Der Wahn im Kopf, direkt nach Beendigung der Arbeit, während der kaum gesprochen wurde.
Der Malprozess wurde von beiden Künstlern im verdunkelten Atelier begonnen, erst nach einer gewissen Zeit des Malens schalteten sie dann das Licht ein.
1. Beginn im Dunklen:
Wimmer: Ich war mit einem gewissen Widerstand in die Arbeit im Dunklen gegangen und fragte mich, was ich da eigentlich mache? Als erstes hatte ich Schwierigkeiten mich zu orientieren und meine Fähigkeiten, den Raum zu erfühlen, waren nicht mehr vorhanden. Meine Einschätzung war, dass die Malfläche dichter vor mir liegt. Deshalb musste ich mich erst langsam herantasten. Die zur Verfügung stehende Leinwand konnte ich ebenfalls nicht richtig erfassen. Meine ersten Malversuche, irgendetwas zu gestalten, waren selbst ansatzweise nicht möglich; weil ich keinen Ansatz mehr hatte!
Dieses motivierte mich, machte mich neugierig, irgendwie etwas zu formen. Dieser Versuch löste sich dann auf in Bewegungsimpulsen. Dadurch kam ich mit den Fingerspitzen ins Klopfen, versuchte, möglichst zart mit der Leinwand umzugehen, und es entstand Rhythmus.
Im Dämmerlicht tauchten Strukturen auf, weil meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich machte sie zu. Aber was ich zuvor gesehen hatte, fand ich sehr spannend, faszinierend und unglaublich, dass es im Dunklen gemalt wurde.
Uta: Wenn ich dich so höre, finde ich es irre - total irre. Wir müssten unser Sprechen eigentlich unabhängig voneinander aufnehmen, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass deine Aussage mich in meinem Sprechen beeinflusst hat. Ich erzähle jetzt trotzdem, wie es mir ergangen ist:
Mir war es nicht dunkel genug im Raum, ich konnte alles gut schemenhaft erkennen und mich orientieren. Ich schloss deshalb die Augen und merkte sofort, dass durch das Wegfallen des Sehens meine ganzen Sinne komplett zu einem Rundumspüren, Hören und Lauschen gingen. Meine Wahrnehmung erweiterte sich in den Raum hinein. Ich konnte relativ sicher abschätzen, wo sich die Leinwand ungefähr befand.
Meine Wahrnehmung stellte sofort die haptischen Empfindungen in den Vordergrund: Ich ertastete die Leinwand und hatte das Gefühl, die ist aber klein! Teile fühlten sich trocken und rau an, andere glatt und rutschig. Das Rutschige war kühl und das Kühle fühlte sich schön an. Das Raue wirkte auf mich, als wenn es noch eingecremt werden möchte.
Neben der haptischen Erfahrung kam auch gleichzeitig die Wahrnehmung des Raumes dazu. Meine Aufmerksamkeit zum Bild wandelte sich – du rücktest immer mehr in meinen Fokus als zweites Wesen im Raum: Wo bist du? Wo sind deine Hände? Wo ist dein Körper? Stoße ich dich..., berühre ich dich..., vermeide ich eine Berührung auf der Leinwand mit dir; bin ich überrascht, wenn ich dir dort begegne oder ziehe ich mich dann schnell wieder zurück?
Du als Mitmalender in diesem dunklen Raum zogst immer mehr meine Aufmerksamkeit an. Diesen Aspekt fand ich besonders interessant im Gegensatz zum Malen im Hellen; durch die fehlende Orientierungsmöglichkeit kam eine Unsicherheit dazu und auch eine Scheu.
Ich hatte das Gefühl, es fing an alles zu schwingen - mein ganzer Körper - und ich hatte den Impuls zu tönen. An dieser Stelle musste ich ganz schön Mut fassen!
Ich fand es faszinierend, dass du rhythmisch mit eingestiegen bist, beim Malen mit dem Spachtel im Takt gekratzt hast. Es war nicht einfach - in Anbetracht der unangenehmen Kratzgeräusche und meinen eigenen tiefen Tönen - dabeizubleiben und nicht zu erschrecken. Und es kamen bei mir innere Bilder von Gefängniszellen, Kratzen an der Wand, Gaskammern.
Es lief parallel ab und fühlte sich trotz allem irgendwie richtig an: Wie in einen tiefen Raum und fast wie eine Initiation.
Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als wir das Malen beendeten und noch eine ganze Weile im Dunklen zusammensaßen. Es entstand das Gefühl: Ich bin Raum, in diesem Raum fühle ich meinen Körper, ich fühle deinen Körper - unser Bild trat völlig in den Hintergrund. Wir beide sind in diesem Raum, er ist dicht gefüllt mit Energie - ich bemerke Schwingungen zwischen uns.
Dann wandelte es sich irgendwann in einen Dreiklang: das Bild, du und ich. Wie gut, dass wir beide zusammen es uns erlaubt haben, diesen „Raum“ zu betreten - wie Hänsel und Gretel im dunklen Wald. Bei einer Initiation ist es eigentlich immer ein alleiniges Gehen. Normalerweise wird dieser Prozess alleine durchgestanden, wir aber sind zusammen da durchgegangen! Gemeinsam saßen wir weiter im Dunklen: Einfach Sein. Was für eine Ruhe. Da könnte man ewig bleiben.
Dann hast du die Kerze angemacht.
2. Weiterarbeit im Hellen
Wimmer: Und dann - im ganz Hellen - blieb meine Aufmerksamkeit gleich im unteren Eck der Leinwand hängen. Dort sah ich einen Hasen, dem ein Ohr fehlte.
Dieser war fast schon komplett da. Er erinnerte mich an den Märzhasen aus der Geschichte „Alice im Wunderland“. Er ist dort eine Figur mit der Uhr in der Hand, die durch die Welt rast, mit niemanden in Kontakt geht und immer wiederholt: „Ich habe keine Zeit, ich habe keine Zeit, ich muss irgendwo hin.“
Ich stattete ihn dann mit Fliege und Anzug aus und so ist er jetzt auch auf dem Bild zu sehen. Die Konzentration auf die Ausarbeitung des Hasen hat mich völlig absorbiert. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und als ich von dem Bild zurücktrat, bemerkte ich erst, was du da machst.
Ich dachte: ‚Das ist ja toll! Das ist ja wie die in der Geschichte verflogene Zeit, hinter der der Hase her ist, sie fangen will und sie nicht kriegt.’
Ab da war ich plötzlich völlig ruhig und dachte: ‚Lass Uta mal machen; das, was gerade geschieht, ist genau richtig.’ Ja, genauso war das für mich.
Uta: Ich fand es ganz schön, dass im Hellen das Blau zum Vorschein kam.
Je mehr Licht da ist, umso mehr kann ich auch wahrnehmen, logisch.
Ich hatte mir das Bild genau angeschaut und kann gar nicht sagen, ich hätte an irgendetwas dabei gedacht. Ich verspürte nur das Bedürfnis, in die Zwischenräume der vorhandenen Braun-Schwarz-Töne Hellblau zu malen.
Wimmer: Meine Arbeit mit dem Hasen war für mich beendet, da war nichts mehr daran zu verbessern. (Wimmer sitzt auf dem Stuhl und schaut nur noch zu). Ich dachte zu diesem Zeitpunkt, dass das Bild fertig sei - wir machen gar nicht mehr weiter! Wir lassen es einfach so!
Aber du warst weiterhin unheimlich schnell und ganz entschlossen in deiner Arbeit einzelne neue Flächen mit Hellblau zu schaffen. Ich registrierte, dass diese Flächen immer mehr das ganze Bild einnahmen! Als es dann immer noch weiter ging und ich genauer hinsah, bekam ich Sorge um meinen Hasen. Ich dachte: ‚Vielleicht passt Uta der ganze Hase nicht? Na dann, dann ist er eben wieder weg! Ist mir auch egal!’
Uta: Ich wurde zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von meinem inneren Drängen angetrieben weiterzumalen. Die hellblauen Flächen hatten Ähnlichkeit mit Wolken. Aber eigentlich waren es ja Zwischenräume. Die „Zwischenräume“ wollten sich irgendwie Raum nehmen.
Nebenbei bemerkte ich, dass du da unten in der Ecke malst, du schienst eine Figur auszuarbeiten. Ich habe nicht wahrgenommen, was für eine Figur das ist, sondern nur bemerkt, dass du dich da unten auf die Ecke konzentrierst.
Für mich hatten die Zwischenräume eine große Anziehungskraft, ich musste sie irgendwie hervorheben. Dann hat alles richtig Fahrt aufgenommen und ich sage das jetzt nicht, weil du es gerade erzählt hast, sondern weil ich das so während der Arbeit empfunden habe.
Ich dachte: ‚Wimmer lässt sich nicht davon abbringen, diese Figur zu malen und ich lasse mich nicht davon abbringen, diese Zwischenräume zu malen.’
Es war ein Wettlauf mit der Zeit! Ich habe auch wahrgenommen, dass du nur da unten in der Ecke warst und ich mich auf der restlichen Leinwand breitmachte. Darum habe ich mich etwas zurückgenommen und zu mir gesagt: ‚Komm, lass mal ein Stück los!’
Aber dann hat es mich wieder gepackt: ‚Nein, die Zeit drängt, diese Zwischenräume sind so wichtig - bevor da noch mehr „Hasen“ entstehen (Gelächter)! ‚Es drängt, die Zwischenräume müssen mehr werden!’ Das war mein Gefühl.
Erst dann bin ich zurückgetreten und mich überkam plötzlich das Gefühl, dass ich dich, Wimmer, verloren hatte. Ich bin getrennt von dir. Oder: Du machst da was und ich mache da was. Das habe ich noch kein einziges Mal während unseres Zusammenmalens so erlebt: Du bestehst auf „Deins“ und ich bestehe auf „Meins“. Ich konnte für dich und mich wahrnehmen und akzeptieren, dass jeder „Seines“ tun musste: Du machst den Hasen und ich mache die Zwischenräume.
Das Wichtige an den Zwischenräumen war, dass diese leer und dadurch beruhigt sind. Auf der Handlungsebene war es konträr: Durch mein beschleunigtes Arbeiten gingen für mich die Zwischenräume / Pausen eigentlich verloren. Dieses befeuerte erneut mein schnelles Arbeiten, in dem Gefühl auf dem Bild noch mehr Ruhe erzeugen zu müssen. Damit sich in den leeren Räumen nichts anderes breitmachte, musste ich immer mehr Tempo machen. In diesem Moment wurde mir dieses Paradox bewusst.
Wenn ich die leeren Flächen nicht als Raum, sondern als figürliche Materie sehe, dann könnten es auch Krebszellen sein, die sich rasend schnell ausbreiten.
Ich hätte am liebsten mit meinen hellblauen Flächen die verdichtete Materie in Form von Braun- Schwarz-Tönen angeknabbert und Stück für Stück aufgelöst.
Ich sah, dass du dich inzwischen hingesetzt hattest. Es kam eine große Traurigkeit, erneut ein Gefühl von Trennung. Ich sagte mir: ‚Jetzt halt erst einmal inne. Nehme ich mir jetzt zu viel Raum, bestimme ich zu sehr das Bild?’ ‚Aber ich muss das doch tun!? Da ist also ein großer Drang in mir!?’
Es ist schon ein Widerspruch zu sagen, ich muss da Ruhe hineinbringen. Nein, ich muss die Ruhe „sein“ lassen.
Das Bild ist wie eine Momentaufnahme: Einige Bereiche sind durch das Hellblau beruhigt und einige Bereiche in Braun- Schwarz sind unruhig und völlig verdichtet.
Mein Gefühl ist, wir befinden uns mit dem Bild im Kopf: Dort ist ein Bewusstseinsraum, in den die Gedanken und Gefühle aufsteigen wie verdichtete Materie. Ich finde den Hasen unten in der Ecke wunderbar! Ich habe das Gefühl: Wir gucken in seinen Kopf hinein!
Wimmer: Der Hase nimmt alles in sich auf, den ganzen Raum um sich herum.
Uta: Der hat es in sich! Der hat so viele Gedanken und auch so viele Schmerzgefühle. Es ist alles vorhanden und gleichzeitig ist da ein großer Raum, in dem alles geboren wird. Dem schwirrt der Kopf! Wenn wir sagen, der Himmel ist ein offener Raum, dann darf er noch ein wenig meditieren, bis dort - in seinem Kopf und über seinem Kopf - eine weiße Leinwand ist.
Wimmer: Es braucht noch viel Zeit - bis es sich ganz beruhigt (Gelächter)!
Uta: Noch bevor wir unser Gespräch aufgezeichnet haben, war dein erster Satz: „Es ist, als wenn zwei Welten aufeinandertreffen!“ Das trifft es total, das war auch mein ganzes Erleben von unserem Malprozess her. Wir waren ganz in unserer sinnlichen Wahrnehmung und registrierten gleichzeitig: ‚Was ist alles los im Kopf!’
Du hast auch von dem Gefühl der Orientierungslosigkeit im Dunkeln gesprochen. Da wird deutlich, dass der Verstand sofort nach einem Konzept und einer Erklärung sucht und dieses Unklare eigentlich nicht will. So konnten wir beide nicht in Ruhe sitzenbleiben - deshalb auch das große Drängen in uns und die Angst, dass die Zeit nicht reicht.
Wimmer: Das, was wir eben erlebt haben, entspricht exakt der Bedeutung des Hasens in Alice im Wunderland.
Uta: Mein Erleben, mich gemeinsam mit dir in einem Raum zu fühlen - völlig gleichwertig, lebendig und schwingend – bewahrte sich auch noch einige Zeit im Hellen. Ganz selbstverständlich: Du arbeitest da und ich arbeite hier. Und dann nahm ich wahr: Was geht jetzt alles los in meinem Kopf!
Wimmer: Ich hatte innerlich meinen Malprozess beendet und mich hingesetzt. Ich wollte mich damit nicht abschotten, sondern hatte das Gefühl: ‚Du machst das schon! Du malst das Bild jetzt fertig, ich brauche gar nichts mehr zu tun.’
Uta: Gleichzeitig tauchte bei mir ein Gefühl von Trennung auf. Ich machte diese Trennung selbst im Kopf, indem ich mich fragte: ‚Habe ich dich aus dem Bild verdrängt? Ich male an so vielen Stellen und du begnügst dich mit der linken unteren Ecke?’
Das war eine Beschränkung durch meine Gedanken. Ich hatte plötzlich das Gefühl: ‚Du bist du und ich bin ich.’ Es war nun anders, als ich es vorher gefühlt hatte.
Wimmer: Es bleibt eine Gemeinschaftsarbeit, da kommt man nicht drumherum. Solche Trennungsebenen sind immer wieder da - in unserer Vorstellung. Dieses Bild trägt dazu bei, diese Vorstellungen schweben zu lassen. Es sind alte Dinge, die wir mit uns herumschleppen. Unsere Gedanken schaffen eine künstliche Trennung zwischen allem.
Uta: Während des Malprozesses im Dunklen haben wir es anders erfahren. Dieses ist in unsere Körper eingezogen, wir werden es nicht mehr vergessen.
Wimmer: Es geht immer nur über Erfahrung.
20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh